30 Januar 2007

Berlin Alexanderstraße


Nicht nur Axel Springer, Rudi Dutschke und Roland Koch treten sich gegenseitig auf die Füße, nein: Auch der Alexanderplatz wurde jetzt abgeschafft. Das wurde Zeit, der lag auch wirklich lang genug faul in der Gegend rum. Der Begriff "Straße" wirkt viel dynamischer und zielorientierter als das behäbige "Platz", das den Mief der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts einfach nicht los wird.
Um unsere Städte aber mal auf Dauer zu dynamisieren und dem Wettbewerb zu öfnen, setze ich hiermit eine Idee in die Welt, von der ich sicher bin, daß sie schon bald Furore machen wird:
Stadtplanung nach dem Wikipedia-Prinzip.
Jeder kann alles jederzeit ändern.
Das wäre doch toll.

27 Januar 2007

Tausend Tränen tief

Die Band Blumfeld, die über die Jahre eigentlich immer mehr aus Jochen Distelmeyer bestand, hat sich getrennt. Wonach der Bandname schon immer klang, das wurde im letzten Album endlich mal umgesetzt, da ging es nämlich um Äpfel, Wiesen und Tiere. Ein halbes Jahr später war Schluß.

Mir fallen dazu zwei Dinge ein.

-Wenn eine Band eine Platte über Blumen, Bäume und Vögel macht, löst sie sich danach auf. Bekanntestes Beispiel: Pulp.

-Jochen Distelmeyers weitere Karriere wird so ähnlich weitergehen wie die von Heinz Rudolf Kunze. Erst ist man der Held einer intellektuellen, tonangebenden Minderheit, je nach Perspektive vielleicht auch Sprachrohr einer Generation, dann altert man gemeinsam mit seinem Publikum so allmählich ins Feuilleton hinein, dann kommt eines Tages eine neue Generation und sagt: Was ist denn das für ein Müll, weg damit. Und dann spielt man bei der Grand-Prix-Vorentscheidung gegen die elfte Popstars-Inkarnation.

Zum Gedenken eine Zeile aus dem wirklich wunderschönen Lied "Old Nobody", mit dem das gleichnamige Blumfeld-Album leider nicht endet, weil noch ein überflüssiger Schlager hinterherkommt.

ein ewiges Meer
aus unnennbarer Zeit
von da kommen wir her
dorthin zieht es uns bald
nur eine Frage der Zeit für
Old Nobody

26 Januar 2007

Stille Tage in Heidelberg

Die romantische bzw. verschlafene Universitätsstadt am Neckar bietet dem Reisenden eine Fülle von kulturellen Attraktionen. Gestern habe ich mit meiner Freundin ein ortsansässiges Spielwarengeschäft besichtigt, und es ist mir gelungen, ein Erinnerungsfoto zu schießen, obwohl sie sonst sehr kamerascheu ist. Ihr Gesichtsausdruck zeigt ihre Freude über das reichhaltige Warensortiment.
Anschließend wollte sie auch eins von mir machen. Und siehe, es zeigt sich mal wieder die alte Erfahrung, daß Paare mit länger dauernder Beziehung einander immer ähnlicher werden.



23 Januar 2007

Springer-Dutschke-Streetwars

Es ging damit los, daß der Axel-Springer-Verlag sich in bester Patriarchenmanier dachte: Wir wollen uns nicht nur in der Öffentlichkeit breitmachen, sondern auch der Stadt Berlin unserern Stempel aufdrücken. Also wurden die Freunde in der CDU aktiviert, und nach einigem Hin und Her heißt ein Stück der Lindenstraße, die seit 1723 ihren Namen trug, seit 1996 Axel-Springer-Straße. Es ist rein zufällig genau die Straße, an der das Springer-Hochhaus liegt. Ist ja total nachvollziehbar, daß die ihre Adresse nach dem Gründer benennen wollen. Versteht jeder. Daraufhin sagte sich die taz: Was die können, können wir auch. Man veranlaßte mit Hilfe der Freunde bei SPD und PDS die Umbenennung eines Stücks der Kochstraße, die ihren Namen seit 1734 trug, in "Rudi-Dutschke-Straße". An der Kochstraße liegt das Rudi-Dutschke-Haus, in dem die taz beheimatet ist. Klar, auch das ist total normal und verständlich, daß die für ihren Hausheiligen den Berliner Stadtplan umräumen wollen. Schließlich kam dann die CDU an, bekanntlich seit jeher furchtlose Verfechterin der direkten Demokratie, und sammelte Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die Umbenennung. Wir durften also am Sonntag wählen.
Wie entscheidet man sich? Für Dutschke? Gegen die taz? Für die CDU mit ihrem doof-dreisten Bürgerbegehren? Oder für den ehrwürdigen Herrn Koch aus dem 18. Jahrhundert? Wieso sind die letzteren zwei Alternativen, verdammt nochmal, im Ergebnis identisch? Hätte man nicht gleich über die Springer-Straße mit abstimmen können?

Eine kleine Entscheidungshilfe. Auf der Website der Umbenennungs-Gegner finden sich tolle Satzbauruinen, zum Beispiel:

Die Linken sind solange für Basisdemokratie bis zum den Zeitpunkt wo die Mehrheitsmeinung des Volkes gegen ihre eigenen Interesse steht.

Na dankeschön. Es geht hier irgendwo auch um Sprache, und allein schon deswegen kriegt ihr meine Stimme nicht. Ich war also einer von den 16% der Berechtigten, die zur Abstimmung gingen, und ich war einer der 57%, die für die Dutschke-Straße stimmten. Was sollte man denn auch sonst machen? Keiner der drei oben erwähnten Vorgänge war mir besonders sympathisch, und das hat nichts mit der Verteilung meiner Sympathien auf Springer oder Dutschke zu tun. Aber ja, ich bin den weltweiten 68ern, auf denen heute so gern rumgehackt wird, sehr dankbar, denn erst mit ihnen entstand die liberale Gesellschaft, in der wir so selbstverständlich leben, und trotzdem finde ich das Sandkasten-Hickhack, das hier stattgefunden hat, eher abstoßend als sonstwas. Es zeigt eine völlige Ignoranz gegenüber der gewachsenen Struktur einer Stadt, die eben mehr ist als nur Schauplatz der Ideologiekriege des vergangenen Jahrhunderts. Egal, am Ende zieht doch das Sandkasten-Argument: Die anderen haben angefangen. Haben sie ja tatsächlich. Und es gibt demnächst eine Kreuzung Springer-/Dutschkestraße. Mit Ampel. Immer wenn ich nach Mitte fahre, komme ich dort vorbei. Die Axel-Springer-Straße versackt dann als Sackgasse, man kommt nur mit dem Rad oder zu Fuß weiter.

Angesichts der allgemeinen Berliner Geschichtsvergessenheit, mit der ja auch der halbe Osten plattgemacht wurde, würde ich aber hiermit vorschlagen, daß endlich mal eine Straße nach jenem Mann benannt wird, der die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert wie kein zweiter geprägt hat. Und zwar gemäß seiner Bedeutung gleich eine der größeren. Ich beantrage hiermit die Umbenennung von "Unter den Linden" in "Adolf-Hitler-Allee". Nur als kleine Maßnahme gegen das Vergessen. Und die ansässigen Firmen dürfen sich nur beschweren, wenn sie nachweisen können, daß sie niemals Zwangsarbeiter beschäftigt haben.

Beknackte Idee? Na klar. Aber das stört in Berlin ja meist niemanden.

17 Januar 2007

Denunziation


Ist das nicht nett?
Mitfilmen verboten, sowieso, aber darunter steht eine freundliche Aufforderung zur Denunziation.

"I you see someone acting against this law we would appreciate you letting us know".

Liebe Kinobetreiber, mal ganz deutlich und entschieden: Nein. Meinetwegen kann jemand neben mir im Kino eine tonnenschwere Filmkamera aufstellen und abfilmen, was er will - so lange er mich damit nicht stört, werde ich garantiert nicht zum Aufsichtspersonal marschieren und ihn verpetzen.

Und außerdem sollte man sich kurz nochmal einen Unterschied klarmachen. Verpetzen, das bedeutete unter Kindern: Stefan hat mich gehauen, ich laufe zu seiner Mama und sage es ihr. Das ist nach dem Spielplatz-Ehrenkodex nicht okay, weil man sowas untereinander regelt. Es ist aber nachvollziehbar, weil ich ja tatsächlich das Opfer bin. Denunzieren ist aber noch ganz was anderes: Ich melde jemanden der Obrigkeit, dessen Fehlverhalten gegen die Obrigkeit mir selber gar keinen Schaden zufügt. Und das ist eine Verhaltensweise, die mit gutem Grund als ziemlich ekelhaft gilt. Denunziert wird üblicherweise in Diktaturen. Denunzianten werden gelyncht, wenn der Diktator dann gestürzt ist. Und weil der digitale Pirat ja heutzutage sowieso genug Gelegenheit hat, sich wie ein Widerstandskämpfer vorzukommen, bleibt die Frage, warum die andere Seite dieses Bild durch solch ein Gebaren auch noch unterstützt.

Abschließend wäre hier noch ein raubkopiertes Bild aus einem aktuellen Kinofilm. Ich bitte um zeitnahe Denunziation.


15 Januar 2007

Gescheiter scheitern

Hat meine künstlerische Arbeit irgendeinen Wert? Oder produziere ich kompletten Müll? Woher soll ich denn überhaupt wissen, ob es gut ist oder ob es Müll ist? Was mache ich, wenn ich selber meine Sachen toll finde, und der Rest der Welt findet es beschissen? Oder umgekehrt, wie gehe ich damit um, wenn Leute mir sagen: Toll - und ich mir denke: Denkste? Und was mache ich überhaupt, wenn diese Leute herausfinden, daß ich von all dem, was ich da mache, keine Ahnung habe, weil ich doch gerade erst mein Abiturzeugnis bekommen habe, und auch das nur aus Versehen?

Das sind so ganz grundlegende Fragen, die man sich eigentlich ständig stellt. Selten verhandelt man sie öffentlich, aber wenn man es doch tut, dann kann man sich eigentlich einer Welle der Sympathie sicher sein, denn alle sind erleichtert, daß es endlich mal einer ausspricht.

Ich war bei einer unglaublich sympathischen Veranstaltung, nämlich beim Festival des gescheiterten Films. Ein Kurzfilm von mir lief da. Es war sogar die Premiere, weil er vorher noch nie irgendwo gelaufen war. Es liefen Filme übers Scheitern, vor allem aber gescheiterte Filme, die teilweise ausgesprochen lustig waren, und das durchaus nicht unfreiwillig. Ein Buddy-Movie aus dem Schwabenland, in dem sämtliche Frauen immer nur "Quak" sagen. Ein Kurzfilm mit Überlänge und dem hinreißenden Titel "Sitzriesen an Stehimbissen". Eine Dönerbudenballade mit einer geradezu französischen Leichtigkeit, die man in jenen deutschen Filmen, die sich explizit auf die französische Leichtigkeit berufen, immer vergebens sucht.

Es wirkt wahnsinnig befreiend, mal nicht in einem Festivalprogramm zu sitzen, bei dem man sich die ganze Zeit fragen muß, wo denn da die Qualität ist, denn irgendwo muß sie doch sein, es geht ja schließlich um Qualität, aber man findet sie einfach nicht, die Qualität - nein, hier ist es umgekehrt. Dieses Festival verkörpert in sich eine große Weisheit. Es strahlt eine tiefe Gelassenheit aus. Man kann ihm nichts anhaben.

Vor einigen Jahren erlebte ich, wie Wim Wenders vor einem großen Auditorium sagte:
-You can´t live without failure. If you never fail you don´t know who you are anymore.

Er erntete damit spontan den größten Applaus des Abends. Daher, liebe Freunde, laßt uns gemeinsam die Angst vor dem Scheitern ablegen. Es ist normal. Und zu sehen, wie normal es ist, das beflügelt schon wieder.

10 Januar 2007

Die Sonne lacht und der Blumentopf lacht ebenfalls

Das Medium bestimmt den Inhalt

Meine Mutter hat mir eine e-mail geschrieben! Momentan funktioniert aber auf ihrer Tastatur der Punkt nicht! Deswegen beendet sie jeden Satz mit einem Ausrufezeichen! Ich finde das toll und irgendwie ziemlich inspirierend! Es zeigt im Kleinen, daß Einschränkungen der technischen Mittel nur eine Herausforderung sind, kreativ damit umzugehen! Oder?

09 Januar 2007

Ich war noch nicht in ãSchlŠferÒ

Die Evolution des Lebens geschah durch Mutation und Selektion: Zufällige Fehler im Code, deren Ergebnisse sich dann im Kampf ums Dasein behaupten müssen. Könnte die Evolution der Sprache ähnlich verlaufen?
Kürzlich schickte mir jemand eine Einladung zur Vorführung eines Films mit dem Titel:

ãSchlŠferÒ

Die hier vorliegende Mutation hat meine persönliche Selektion mit Bravour passiert.
Es ist ein wunderschönes neues Wort entstanden. Wir müssen jetzt nur noch einen Sinn dafür finden. Ich freue mich über Vorschläge.

08 Januar 2007

Wo sind all die Blumen hin


Immer wenn der Sommer vorbei ist und die Leute aus den Ferien wiederkehren, behaupte ich: Demnächst ist Weihnachten. Und jedes Jahr stellt sich das dann als richtig heraus. Ab September donnert das Jahr auf einer immer steiler werdenden Rutschbahn seinem Ende entgegen. Schneller und schneller und dann plötzlich vorbei.

Für dieses Jahr wünsche ich mir, daß das auch mal andersrum funktioniert, daß nämlich der Winter sich überraschend schnell in Frühling verwandeln möge. In zwei Monaten ist immerhin Mitte März. Da kann schon einiges gehen.

Als Sinnbild jener Hoffnung möge dies Blümlein dienen, das auf meinem Balkon überraschenderweise erblüht ist. Vielleicht wäre das schon vor Monaten passiert, wenn ich es nicht so nachlässig gepflegt hätte. Aber jetzt im Januar ist es plötzlich da und erinnert einen daran, daß es eines Tages wieder warm werden wird. Und zwar nicht in den Herzen, sondern überall da draußen.



06 Januar 2007

Von Finn verfolgt

Wir saßen beim Frühstück und sprachen über Kinder und Namen.
Prominente, die ihre Kinder Apfel oder Nebukadnezar Ariel Gurnemanz nennen, sind ja eine leichte Zielscheibe, doch auch im eigenen Umfeld lassen sich interessante Dinge feststellen. Leon und Amelie sind zum Beispiel out. Man gibt seinen Kindern jetzt wieder wilhelminische Kapitänsnamen. Junge Eltern nennen ihre Söhne Karl oder Hans oder Heinrich (nicht wie Himmler, sondern wie Heine) oder Josef (nicht wie Goebbels, sondern wie Stalin). Mädchen heißen Marie oder Lotte und sowieso eigentlich immer Paula.
Dann aber sagte eine Freundin, die mit uns da saß:
Der neueste Modename lautet ja Finn.
Ich erwiderte daraufhin in leichtsiniger Ahnungslosigkeit:
Finn? Nie gehört. Wohl kennt man den Finnwal, vielleicht auch "Finnegan´s Wake" oder gar die Finne des Bandwurms, eine garstiges Parasitentier, jedoch Finn als Vornamen, nö.
Doch! gaben daraufhin andere Anwesende zu bedenken, Finn ist klar im Kommen.
Daß Finn in der Tat im Kommen ist, wurde mir ein paar Tage später klar, als er mir zum ersten Mal in der Zeitung begegnete.
Kurz danach kaufte ich ein Buch, und vorne drin stand:
Für Finn.
Inhalt des Buchs war übrigens eine lustige Sammlung von gedankenlosen, aber zu oft gebrauchten Phrasen.
Wieder einige Tage später erfuhr ich, daß eine sympathische Person, die ich sehr schätze, ihren Kind nicht nur gesund zur Welt gebracht, sondern ihm sogleich den Namen Finn verliehen hatte.
Und spätestens da war klar: Finn kommt näher. Bald wird er mich erwischen.
Am nächsten Morgen gab mein Mitbewohner bekannt, er habe seinen Vornamen geändert und wolle ab sofort bitteschön mit Finn angesprochen werden. Auf seinen bisherigen Namen werde er nicht mehr reagieren. Na gut, das habe ich mir jetzt ausgedacht, aber es wäre eigentlich konsequent gewesen. Seitdem rechne ich eigentlich jeden Tag damit, morgens aufzuwachen und festzustellen, daß ich selber Finn heiße. In dem Fall würde ich aber meine Eltern anrufen und zur Rede stellen. Und dann würden sie sagen: Tut uns leid, Junge, das war damals Mode, und irgendwie konnten wir uns gar nicht vorstellen, daß sich das mal ändern würde.
Eigentlich bin ich meinen Eltern aber ganz dankbar, denn mein Vorname war schon bei meiner Geburt völlig aus der Mode, eigentlich aber sowieso nie in Mode, was dazu führte, daß Menschen, die mich zuvor nur per Schriftverkehr kannten, mir gesagt haben:
–Ich hatte gedacht, du wärst fünfzig und hättest einen Schnauzbart.
Vielleicht lag das aber auch weniger am Vornamen, sondern eher am Schreibstil.
Wenn ich also selber mal ein Kind haben sollte, dann wird es Karl-Heinz heißen. Vielleicht auch nur Heinz, wenn es ein Mädchen wird.

 
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