29 August 2007

Die Erdbeer-Aussage

Meine Freundin war als Komparse beim Vietnamkongress in der TU, wo Rudi Dutschke in Gestalt von Sebastian Blomberg eine Rede hielt. In den 60er Jahren, wurde man vorher informiert, gab es noch keine nicht herausnehmbaren Piercings, sondern nur herausnehmbare. Zur Vorbereitung hatten wir uns einen Filmklassiker angesehen, den im Westen keiner kennt, im Osten aber schon: The Strawberry Statement, der auf Deutsch den umwerfenden Titel Blutige Erdbeeren trägt, ein Film über eine Campusrevolte von 1968, gedreht 1969, prämiert 1970 in Cannes. Dieser Film ist meines Erachtens die Mutter aller Musikvideos, er ist verrückt und konfus, am Ende stürmen die Bullen zehn Minuten lang das Gebäude, und zwar mit einer filmischen Fulminanz von Eisensteinschem Format.

Das eigentlich irre daran ist aber die Rezeptionsgeschichte: Im Westen wurde der Film mehr oder weniger vergessen, nicht so in der DDR, es war nämlich einer der wenigen Filme zum Thema, den die SED-Gerontokratie aus irgendwelchen Gründen ins Land ließ, wahrscheinlich, weil es da irgendwie gegen den US-Imperialismus ging. Vor allem geht es im Film aber irgendwie gegen jede Form von Obrigkeit, und das war ja eine Stoßrichtung, die in der DDR so gar nicht ging. Dadurch wurde The Strawberry Statement für viele junge Menschen im Osten, die auch gerne auf die Straße oder sonstwohin gegangen wären, aber keine Lust hatten, für einige Jahrzehnte in Stasieinzelhaft zu verschwinden, die einzige Art und Weise, am Geist der Zeit teilzuhaben. Blutige Erdbeeren wurde so über die Jahre zu einem Teil der DDR-Kultur. Verschlungen sind die Wege des Herrn. Verschlungen sind aber auch die Wege der beiden Herren, die den Film gemacht haben:

Der Drehbuchautor, Israel Horovitz, ist in Amerika ein bekannter Dramatiker, am dauerhaftesten in die Kulturgeschichte eingehen wird er aber vermutlich als autoritäre Witzfigur in einem Lied, das sein Sohn geschrieben hat, wo es nämlich heißt:

You pops caught you smoking and he said, "No way!"
That hypocrite smokes two packs a day.

Der Sohn spielte nämlich in einer Band namens "Beastie Boys". Die älteren unter uns kennen die vielleicht noch. Der Song heißt You gotta fight for your right (to party), und genau das haben die Leute im Drehbuch von Papa Horovitz, 20 Jahre zuvor, eigentlich auch nur getan.

Der Regisseur des Films, Stuart Hagmann, ist hingegen irgendwie verschwunden. Man findet noch ein paar Filme, die er gemacht hat, und dann einfach gar nichts mehr.

Könnte das zusammengenommen ein Bild für den weiteren Lebenslauf der 68er ergeben - entweder verbürgerlicht man sich und verbietet den Kindern das Rauchen, oder man haut einfach ab? Ja, liebe Kinder, wenn ich das wüßte.

23 August 2007

Zum Schießen

ist ein etwas aus der Mode gekommener Ausdruck, der ungefähr das gleiche bedeutet wie "zum Schreien", "zum Lachen", "zum Heulen" oder "zum Brüllen", etwas anders gelagert, aber hier auch anwendbar ist "zum Kotzen", all das geht einem so durch den Kopf, wenn man das da liest, was übrigens via Spreeblick verbreitet wurde.

22 August 2007

Das Spiel ist aus

Seit einigen Tagen las ich vor dem Einschlafen in einem Buch von Jean-Paul Sartre, weniger aus plötzlich erwachtem Existenzialismus-Nachholbedarf, sondern eher, weil es mir in die Hände gefallen war. Gestern aber entdeckte meine Freundin eine Mücke, die in einem Glas mit Apfelsaft saß, und ergriff den nächstliegenden Gegenstand, um das Glas abzudecken und die Mücke dadurch gefangenzunehmen. Dieser Gegenstand war nun aber das besagte Buch, und weil meine Freundin eine starke Abneigung gegen Mücken im Schlafzimmer hat, muß das Buch jetzt da liegenbleiben, bis die Mücke verhungert ist. Wegnehmen ist verboten. Die Mücke muß sich jetzt also ungefähr so vorkommen, als wäre sie nicht nur unter, sondern in einer Erzählung von Jean-Paul Sartre gefangen, und ich lese zwischendurch was anderes.

21 August 2007

So habe ich das noch nie gesehen

Es passiert nicht oft, daß man was völlig neues findet.
Jan und Sebastian vom pirate cinema haben sich so etwas ausgedacht. Es nennt sich "0xdb" und ist eine Filmdatenbank. Man kann die üblichen Filmdetails durchsuchen - Regisseur, Darsteller, Jahr, etc. Man kann außerdem rausfinden, wo der Film im BitTorrent-Netzwerk zu kriegen ist. Man kann sich den ganzen Film als grafische Zusammenfassung in Form einer "Timeline" anzeigen lassen. Das sieht dann ungefähr so aus:
Ein Balken steht für zehn Minuten Film, ein Pixel faßt zusammen, was in einer Filmsekunde auf der Leinwand passiert. Man kann also auf einen Blick sehen, wie schnell der Film geschnitten ist. Das gab es vorher nicht, und jeder der sich mit Filmanalyse beschäftigt, müßte spätestens jetzt vor Begeisterung an der Decke schweben. Es geht aber noch mehr. Man kann nämlich auch den gesamten Text des Films durchsuchen - jawohl, sämtliche Dialoge. Das geht, weil in Tauschbörsen nicht nur Filme verfügbar sind, sondern auch dazugehörige Untertiteldateien. Ich kann also beispielsweise den Film "The Godfather" aufrufen, das Wort "Godfather" eingeben und kriege dann angezeigt, wo und wie oft das im Film gesagt wird, nämlich insgesamt 14mal, davon sechs mal in der ersten halben Stunde und dann erst wieder nach zwei Stunden. Das ist nicht nur eine sensationelle, völlig neue Art der Filmbetrachtung, es wirft nebenbei auch einige Urheberrechtsfragen auf, da es schlagend beweist, daß Filesharing-Netzwerke eben nicht nur zum stumpfen Herunterladen da sind, sondern mit etwas Kreativität auch für ganz andere Sachen genutzt werden können.
Man muß sich, bevor man zugreifen kann, bei der Datenbank registrieren, was aber problemlos möglich sein sollte. Und wer was lustiges sehen will, sollte nach einem Film namens "Winter Landscape with a bird trap" suchen und sich den als Timeline angucken.

17 August 2007

Unsere Daten müßt ihr raten

Der kleine Schäuble, den man da in der oberen rechten Ecke bewundern kann, läuft im Moment auch auf allerhand T-Shirts durch die Gegend, da dann mit der Unterschrift Stasi 2.0.
Es geht um die sogenannte "Vorratsdatenspeicherung", mit der unsere Gesellschaft, also wir, vor Verbrechern und Terroristen geschützt werden sollen. Da sind einige Leute dagegen. Ich auch. In "1984" von George Orwell war die totale Überwachung einer der zentralen Schrecken des Systems - in der anderen großen Anti-Utopie, "Brave New World" von Aldous Huxley, sind die Bürger so gehirngewaschen, daß es gar keine Überwachung mehr braucht. Wenn man sich die Bereitwilligkeit ansieht, mit der viele Menschen ungeniert den größten Blödsinn über sich selber vor einer staunenden Weltöffentlichkeit ins Netz stellen, könnte man auf den Gedanken verfallen, daß "1984" sich mit dem Untergang des Kommunismus erledigt hat und wir uns zügig auf Huxleys Version der Zukunft zubewegen. Da ist es dann fast schon wieder erstaunlich, daß unser Staat momentan eine Infrastruktur in Stellung bringt, mit der man jeden jederzeit überwachen kann. Man muß nicht groß nachzudenken, um zu kapieren, daß das gar nicht so gut ist, und wer es genau wissen will, kann auf den kleinen Schäuble klicken und erfährt dann mehr.

Wenn das Gesetz beschlossen wird, wird es eine Sammelverfassungsklage geben, an der sich jeder beteiligen kann. Da wir noch in einer Demokratie leben, ist öffentlicher Druck durchaus nicht wirkungslos, und da öffentlicher Druck eine Sache ist, bei der jeder mitmachen kann, sollten viele mitmachen.

14 August 2007

...

Bei Ikea gewesen. Nichts gekauft.

08 August 2007

Tom Kruse

Wenn man im Internet zwei oder mehr der Begriffe "Cruise", "Stauffenberg", Scientology" oder "Donnersmarck" sucht, dann tun sich Abgründe auf. Die Menschen in Deutschland fallen übereinander her und metzeln sich gegenseitig verbal nieder, daß kein Auge trocken bleibt.

Was ist los? Der Hollywood-Regisseur Bryan Singer verfilmt die Geschichte des 20. Juli 1944,
die Hauptrolle spielt Tom Cruise, der gehört bekanntlich zu einer skurrilen amerikanischen Sekte, deren Name so deppert ist, daß ich keine Lust habe, ihn hier hinzuschreiben, daraufhin wurden Drehgenehmigungen verweigert, nach denen noch gar niemand gefragt hatte, und schließlich schrieb Florian Henckel v. Donnersmarck in der FAZ, Cruise in der Rolle des deutschen Übermenschen Stauffenberg sei ein Glück für unser Land, besser als zehn Fußball-WMs. Und jetzt schlachten sich alle gegenseitig ab, und zwar in einem verbiesterten Tonfall, bei dem man das kalte Grausen kriegen kann.

Mir drängt sich insgesamt der Verdacht auf, daß hier dämliche Leute aus den falschen Gründen einen dämlichen Film verhindern wollen und sich deswegen mit anderen dämlichen Leuten in die Haare kriegen.

Ich würde gern versuchen, die Wogen der Hysterie zu glätten, und mir zunächst mal zehn Fußball-Weltmeisterschaften in diesem unseren Lande bildhaft vorstellen. Am besten alle gleichzeitig. Und wenn man sich das so vorstellt, 10 WMs auf einen Haufen, da ist doch Cruise als Stauffenberg in der Tat die bessere Wahl. Gut fände ich es auch, wenn er die Rolle im Bemühen um totale Authentizität mit ZWEI Augenklappen spielen würde. Wird er wohl aber nicht machen. Und diese Sekte soll ja echt ziemlich doof sein, wie man so hört. Da besteht die ganz reale Gefahr, daß Schulklassen, die gerade die Zeit des Nationalsozialismus durchnehmen, also irgendwo zwischen 7. und 13. Jahrgangsstufe, geschlossen ins Kino und direkt danach zu Scientology gehen. Das wäre ein Verlust für Deutschland. Cruise als Stauffenberg geht also nicht. Andererseits muß es sein, denn er ist ja ein Superstar und besser als zehn Weltmeisterschaften.

Daher hier ein Vorschlag zur Lösung, den ich am Freitag abend mit einem bekannten deutschen Filmregisseur bei einem Bier in lockerer Runde entwickelt habe: Tom Cruise darf weiter mitmachen, wird aber umbesetzt und spielt jetzt Eva Braun.
Florian Henckel v. Donnersmarck spielt Hitler oder am besten gleich die gesamte deutsche Regierung. Und Whoopi Goldberg spielt den deutschen Übermenschen Graf Stauffenberg. Das wäre ein Signal in alle möglichen Richtungen.




01 August 2007

Michelangelo und Ingmar

Zwei Meister des Kinos sind verstorben. Respekt, Dank und Anerkennung von den Lebenden für das, was sie dem Kino hinterließen. Eins aber fällt mir auf, wenn ich die gesammelten Nachrufe lese, von links bis rechts, von bürgerlich bis radikal, und das will mit nicht schmecken. Es ist das Weltuntergangs-Geunke. Aus den meisten Nachrufen klingt ein kulturpessimistischer Unterton heraus, als sei früher alles besser gewesen, die Filme noch nicht so doof, die Jugend noch nicht so verdorben, der Kommerz noch nicht so allgegenwärtig, und als wären die goldenen Zeiten sowieso ein für allemal vorbei.

Das stimmt. Und stimmt auch wieder nicht. Kino war schon immer doof. Kultur generell. Goethes triviale Zeitgenossen haben zehnmal mehr Bücher verkauft als Goethe selber. Nur sind sie zu recht vergessen. Ähnlich ist es mit Antonionis und Bergmans trivialen Zeitgenossen. Die Zeit geht über sie hinweg, sie sortiert die Spreu vom Weizen und läßt hinterher die Dinge so rosig aussehen, wie sie niemals waren.

Daher behaupte ich einfach mal: Genau in dieser Woche wurden zwei Filmemacher von Weltrang GEBOREN, die einfach noch niemand kennt. Wir leben in einer Zeit, die genau wie alle anderen Zeiten eines Tages in nostalgischen Rückblicken auftauchen wird. Wir werden uns eines Tages erinnern und sagen: Ach ja, Anfang des 21. Jahrhunderts, das war noch eine Blütezeit der Kunst und Kultur, da tobte eine wilde Bohème durch Berlin und ließ keinen Stein auf dem anderen, damals entstanden die frühen, großartigen Filme von (hier bitte einen beliebigen Namen dazudenken). Die Meisterwerke liegen noch vor uns, denn was ein Meisterwerk ist, das definiert die Zeit öfter mal neu, und die schreitet voran, die Zeit. Erweisen wir also den verstorbenen Meistern die letzte Ehre, lassen sie dann in Frieden ruhen und zerren nicht noch im Jenseits an ihnen herum, sondern bemühen uns lieber, aus der Gegenwart eine Veranstaltung zu machen, auf die man dann eines Tages wiederum wehmütig zurückschauen kann.

Wir sprechen uns dann in 30 Jahren, wenn die zwei unbekannten Meister, die heute noch als Säuglinge irgendwo herumliegen, ihre ersten Filme gemacht haben.

 
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