05 Dezember 2006

Nur für Freunde

Meine Freundin schreibt ein Blog. Also ein Online-Tagebuch. Was sie da so reinschreibt, weiß ich nicht, denn es ist friends only. Früher war alles öffentlich, aber kurz nachdem wir zusammenkamen, hat sie das geändert, und seitdem können nur eingeloggte friends das lesen, was sie da so schreibt, und da gehöre ich nicht zu, denn ich bin zwar ihr Freund, aber kein friend.

Das ist mir eigentlich auch ziemlich egal, denn Tagebücher anderer Leute liest man auch nicht so einfach, und da meine Freundin der liebenswerteste Mensch auf Erden ist, vertraue ich darauf, daß sie da keine seltsamen Dinge reinstellt, für die ich mich vor ihren friends schämen müßte.

Dennoch ergab es sich kürzlich, daß wir beide uns vor ihrem Laptop befanden und ihr Blog sich als Startseite automatisch öffnete und ich aus reiner Neckerei die Pfeil-nach-unten-Taste drückte und sie mich entschlossen zurückhielt und sagte:

Halt! Das darfst du nicht lesen!

Daraufhin ergab sich folgender Dialog.

Ich: Wieso denn nicht?
Sie: Das ist privat.
Ich: Wieso privat, das dürfen doch all deine „friends“ lesen.
Sie: Ja, aber du darfst das nicht lesen.
Ich: Komme ich darin vor?
Sie: Ja.
Ich(erneutes Drücken der nach-unten-Taste): Na, das ist doch interessant.
Sie: Nein! Finger weg! Privat!
Ich: Wenn das privat wäre, dürfte es niemand lesen. Aber so können es alle außer mir lesen.
Sie: Nicht alle. Nur meine Freunde.
Ich: Gehöre ich nicht zu deinen Freunden?
Sie: Das ist was anderes. Das ist ein Tagebuch. Früher analog im Nachttisch, heute digital im Netz. Hallo, willkommen im 21. Jahrhundert, das macht man heute so.
Ich: Aber früher durfte niemand mitlesen.
Sie: Ich fühle mich schlecht, wenn du das jetzt liest.
Ich: Und ich fühle mich seltsam, wenn ich irgendwie Objekt einer Öffentlichkeit bin, deren Teil ich aber nicht bin. Und deren Exklusivität genau in dem Moment angefangen hat, in dem ich auf den Plan trat.
Sie: Aber das ist doch gar nicht wegen dir.
Ich: Sondern wegen meinem Vorgänger.
Sie: Natürlich.
Ich: Verstehst du trotzdem, was ich da so hilflos in Worte zu fassen versuche?
Sie: Ach ja, ach Gott, das ist entsetzlich, du hast recht, was machen wir denn jetzt, willst du jetzt alles lesen oder wie oder was.
Ich: Nein. Hm. Umgekehrt, eigentlich hast du recht, du kannst doch hinschreiben, was und wo und für wen auch immer du willst. Warum nur komme ich mir aber jetzt so leicht seltsam dabei vor. Hm.
(allgemeine Ratlosigkeit)

Da kann man nix machen. Außer selber machen. Also mache ich jetzt das, was ich schon länger mal machen wollte, und fange ein Blog an. Wenn meine Freundin da was liest, was sie doof findet, dann darf sie mich zur Ordnung rufen. Weil sie es nämlich lesen darf. So wie jeder andere auch.

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