18 September 2008

Traum

Ich bin in den Schweizer Bergen. Ich komme von einer längeren Wanderung zurück. Mein Großvater mütterlicherseits ist bei mir. Wir beide stehen alleine irgendwo. Auf einmal überkommt mich eine große Emotion. Ich falle ihm um den Hals und sage: Opa! Du bist der letzte von meinen Großeltern, der noch lebt! Wir müssen uns unterhalten, bevor es eines Tages zu spät ist! Ich möchte gern so viel von dir erfahren! Ich will wissen, was du erlebt hast. Wie dein Leben war. Was du weißt. Über Frauen. Über alles. Mein Großvater fühlt sich lebendig an, weich, wie ein echter Mensch. Ich umarme ihn lang. Ich habe ihn ewig nicht gesehen. Ihm ist meine anhaltende Umarmung etwas peinlich, mir irgendwann auch, aber auf meinen Vorschlag, gemeinsam ein Bier zu trinken und sich über das Leben zu unterhalten, geht er ein. Dann zerfasert der Traum ein wenig, wie Träume halt so zerfasern. Mein Großvater muß sich irgendwie noch was anderes anziehen, ich spiele ein bißchen auf einem Klavier, das da in der Gegend herumsteht, dann taucht meine restliche Familie auf, und alles dauert nochmal länger. Irgendwann ist auch mein Großvater wieder da, und jemand erklärt uns noch, wie man am besten ins nächste Dorf kommt, wo man sich in ein Lokal setzen könnte. Das Dorf hat einen seltsam komplizierten rätoromanischen Namen, er klingt so ähnlich wie Ferchtzschenz oder so. Wir wollen losziehen. Und da wache ich auf. Es dauert noch einen Moment, dann wird mir klar, daß mein Großvater mütterlicherseits gestorben ist, als ich 11 war. Ich habe nie ein Bier mit ihm getrunken. Ich wüßte gern, was er mir erzählt hätte, wenn er länger gelebt oder ich nicht vorzeitig aufgewacht wäre.

15 September 2008

One Shot

Erinnert sich noch jemand an die 90er Jahre, als alle Welt vom Musikvideo redete? Mit seiner grellen, schnellen, wilden Visualität würde das Musikvideo unsere Sehgewohnheiten komplett umkrempeln, hieß es damals, wir würden bald alle nur noch in zackig-abgehackten Ein-Sekunden-Schnitten denken und reden und überhaupt, auch das Kino wäre im 21. Jahrhundert, also bald, generell ziemlich clipmäßig drauf, und der durchschnittliche Zuschauer würde bei allem, was länger ist als 3 Sekunden, eh bald einschlafen.
Die 90er sind Geschichte, das namenlose Jahrzehnt, das danach kam, ist auch schon wieder fast vorbei, wir sind mittendrin im 21. Jahrhundert, unsere Sehgewohnheiten sind nicht grundlegend anders als früher, die Einstellungen im Kino sind tendenziell eher länger geworden, die Filme selber auch, und was ist aus dem Musikvideo geworden? Nix. Kein Schwein redet mehr davon. Es führt eine grobpixelige Schattenexistenz auf Youtube - und gedeiht dort prächtig. In letzter Zeit findet man immer mehr wundervolle Videos mit tollen Ideen - und unglaublich viele davon sind in einer einzigen Einstellung gedreht. Komplett ohne Schnitt. Einfach so. Überhaupt nicht clipmäßig. Im folgenden einige schöne Beispiele.

"Bat For Lashes" heißt die Band, deren Sängerin hier durch einen nächtlichen Wald radelt, begleitet von unruhigen Tieren. Danke an Peter für den Hinweis.



Goldfrapp sind ja längst Mainstream. Ich befinde mich mit der stets sehr auf Abgrenzung bedachten Indie-Welt in entschlossener Uneinigkeit, wenn ich sie trotzdem mag. Will Gregory hat ein musikalisches Können (und Sounds in der Schublade) wie zuletzt die französischen Impressionisten. Debussy und Satie hätten ihre helle Freude, bestimmt auch in diesem Video und dem Kerl, der da in einer unerhört sportlichen Leistung drei Minuten lang durch die Gegend hopst.



Leslie Feist und ihren Über-Knaller-Hit "1234" kennt man. Das dazugehörige Video bleibt eine Meisterleistung des ferngesteuerten Kamerakrans, auch wenn die ekstatisch tanzende Hippiekommune in Secondhandklamotten wirklich nicht jedermanns Sache ist.



Vampire Weekend waren einer der Hypes diesen Jahres, auf die ich nicht so recht einsteigen konnte, die ich aber auch nicht wirklich schlimm fand, eher im Mittelfeld zwischen ganz nett und eigentlich egal, aber das Video ist lustig, und der Song irgendwie dann auch.



"Clocks" sind eine Band, von der ich nichts weiß, außer daß sie "Clocks" heißen und eine Single namens "Old Valve Radio" haben, ein entspanntes Stück swinging Pop-Rock, und dazu ein Video, das sehr viele verdeckte Schnitte enthält, aber formal trotzdem der One-Shot-Ästhetik folgt.



Mindestens genausoviele verdeckte Schnitte gibt´s hier bei Jarvis Cocker. Das Video ist mittlerweile zwei Jahre alt, mittlerweile ziemlich bekannt, aber immer noch der Hammer.



Und was natürlich auch nicht fehlen darf: OK Go auf den Laufbändern. Haben 40 Millionen Leute gesehen, kann man sich eignetlich auch sparen, hier zur Abwechslung mal mit Legofiguren.



Und dann wäre da noch Iron And Wine, Projektname eines Singer-Songwriters namens Sam Beam, der besinnliche Folksongs macht und mich nie sonderlich interessiert hat, bis ich dieses sehr reduzierte Video sah, das zu einem durchaus schönen Lied gehört.



Es gibt noch reichlich andere ungeschnittene Videos da draußen (zum Beispiel welche von CSS und Low, die ich aber filmisch eher unspannend fand). Wer noch ein schönes One-Shot-Video hat: Her damit.

Und zuletzt die Frage: Warum machen die das alle? Es hat, wie alles, vermute ich mal, mehrere Gründe. Die einen sind pragmatisch-finanziell. Eine ungeschnittene Einstellung ist die potentiell billigste Art sein, einen Film zu machen. Kamera aufstellen, drehen, fertig. So war´s wohl bei OK Go. Die Videos von Feist, Goldfrapp oder Jarvis Cocker hingegen dürften alles andere als billig gewesen sein. Insgesamt vermute ich eher, daß die Beschleunigung der 90er sich irgendwann totgelaufen hat. Man ist heute an einer unmanipulierten Wahrheit interessiert. Jeder Schnitt ist eine Manipulation. Jede Zusammenfügung zweier Bilder bietet Raum für Polemik und Pathos. Ein ungeschnittener Film läßt das Gefüge der Zeit intakt und macht dadurch ihr Verstreichen spürbar. Soweit die etwas verblasene Theorie. Kann aber auch alles ganz anders sein. Sicher weiß ich nur, daß die Sorte von Videos aus irgendeinem Grund enormen Spaß macht. Man verliert längst nicht so schnell das Interesse wie bei konventionellen Videos, die ich mir fast nie bis zum Ende ansehe. Diese schon, weil man immer gespannt ist, was als nächstes kommt.

EDIT:
Paßt zwar nicht so ganz in mein Thema "One Shot als nagelneuer Trend", darf aber auch nicht fehlen:
Spice Girls "Wannabe". Danke an eine Kommentatorin namens Tanja.



 
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