05 Dezember 2007

Ein gut gefühltes Jahr

In den letzten Wochen ist es mir gefühlte dreihundert Mal aufgefallen, daß das Wort "gefühlt" inflationär verwendet wird. Noch vor einigen Jahren waren wir komplett gefühllos, dann kam auf einmal die gefühlte Temperatur, an die mußte man sich etwas gewöhnen. Jetzt hat man sich daran gewöhnt, und alle fangen an, das Wort kreativ umzumünzen. Plötzlich gibt es gefühlte tausend neue Verwendungen für ein altbekanntes Wort.

Dieses Blog ist übrigens heute ein Jahr und einen Tag alt - nicht gefühlt, sondern gemessen. In dieser Zeit haben 2255 Leute die Seite aufgerufen. Vielleicht auch eine einzige Person 2255mal. Den Zähler, der das ebenfalls gemessen und nicht gefühlt hat, habe ich allerdings erst irgendwann im Frühsommer installiert, also vor gefühlten drei Jahren. Vielleicht hatte ich also schon geschätzte zehntausend geschätzte Besucher hier, für mein Gefühl fühlt es sich aber eher an wie gefühlte siebenundzwanzig. In dieser Zeit habe ich gefühlte 67 Einträge geschrieben, Blogger sagt mir aber, daß es gemessene 110 waren und diese der hundertelfte ist. Blogger gehört übrigens zu Google, Google ist in der öffentlichen Wahrnehmung in den letzten zwei Jahren irgendwie von "gut" nach "böse" gerutscht, ähnliches passiert möglicherweise demnächst mit Apple, deswegen werde ich bzw. wird mein Blog irgendwann mal umziehen, mit Inhalt gefüllt wird er aber weiterhin von meinem häßlichen PC aus. Gefühlte Höhepunkte meines ersten Blogger-Jahres waren eine kritische Würdigung der kritischen Würdigung von Hanna Herzsprung in "Vier Minuten" oder auch der (gefühlte?) Ex-Lover von Marco Kreuzpaintner, der unversehens in den Kommentaren auftauchte. Meine virtuellen Bloggerfreunde halten sich in engen Grenzen, es sind gefühlte Null, was daran liegt, daß ich zu faul bin, auf anderen Blogs rumzusurfen und Kommentare zu hinterlassen und mir dann eine Riesenleiste mit gefühlten hundert Links auf die Seite zu kleben. Kann doch eh kein Mensch alles lesen. Gelegentlich lese ich Spreeblick. Schon da kann kein Mensch alles lesen. Anders als bei der Zeitung, wo man den Wirtschafts-, Sport- und Karriereteil frohgemut ungelesen ins Altpapier donnert, hat man im Internet ja immer Minderwertigkeitskomplexe. Die kommen vermutlich daher, daß man das Internet nicht ins Altpapier werfen kann.

Ich schweife ab. Das sind schon wieder gefühlte vierhundert Wörter über eigentlich kein Thema.
Knackiges Schlußwort will mir auch keins einfallen. Ich würde mich freuen, wenn von meinen realen Freunden auch der eine oder andere sowas anfangen würde. Es ist eine wunderbar entspannte Art, nebenbei mitzukriegen, was die anderen so machen und denken, ohne sich permanent auf einen Kaffee oder ein Bier zu treffen. Nichts gegen Kaffee und Bier, wobei Kaffeetrinken schon arg überschätzt wird, vor allem gewissen Teilen Berlins, gell, man könnte sein ganzes Leben damit zubringen, Leute auf einen Kaffee zu treffen, aber wo käme man da hin außer ins Wohnzimmer oder ins Bateau Ivre oder in die Morena Bar oder in die Mokkabar oder ins Keyser Soze oder oder ins Matilda oder ins Sowohl als auch oder ins Zu Mir Oder Zu Dir oder in eins dieser angesagten illegalen Lokale, jaja, oder doch zu Starbucks? Da könnte man dann immerhin noch im Internet surfen, wenn der andere einen versetzt, was aber gefühlte 20 Euro pro Stunde kostet. Wo war ich stehengeblieben? Man sieht, die Bloggerei und überhaupt dieses ganze Computerzeug führt dazu, daß die Leute nicht mehr klar denken können und nur noch Blödsinn schreiben. Da treffe ich lieber mal einen meiner gefühlten 34 Freunde auf einen Kaffee oder ein Bier, um auf den Geburtstag meines Blogs anzustoßen. Prost.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du hast in dem vergangenen Jahr ein gutes Gefühl für interessante Beiträge bewiesen. Dankesehr dafür und viel Spaß weiterhin beim bloggen; auch mit den roten Autos.

Anonym hat gesagt…

Und Du hast sogar Deine Mutter zur Bloggerin gemacht.

ijb hat gesagt…

Hallo Dietrich, ich schließe mich Björn an. Auch ich lese deine Kommentare stets sehr gerne; immer wieder scharfsinnig und unterhaltsam. Gaben auch manches Mal Anregung, mich mit von dir aufgeworfenen Fragen bzw. Themen noch weiter zu befassen oder sie an anderen Orten weiter zu diskutieren.
Im zweiten Jahr werde ich sicher regelmäßiger Leser bleiben.
Frohe Weihnachten,
ijb

 
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