30 Dezember 2006

Jahrescharts

Ein Jahresrückblick ist eine schöne Sache. In der Rückschau verlieren selbst schreckliche Dinge ihren Schrecken. Es sei denn, der Jahresrückblick geschieht selber in einer schrecklichen Form, nämlich als Top-Ten-Liste. In der Musikszene wird das gerne gepflegt, da findet man im doppelseitenweise die persönlichen Jahrescharts sämtlicher Redaktionsmitglieder, und schrecklich ist daran vor allem die Eintönigkeit: Mal stehen die Arctic Monkeys auf 1 und TV On The Radio auf 3 und Phoenix auf 5, dann wieder Phoenix auf 3 und Arctic Monkeys auf 2 und TV On The Radio gar nicht, dafür aber Hot Chip auf 3 und Clap Your Hands Say Yeah und The Kooks und The Whitest Boy Alive typischerweise auf 4 bis 6 und dann nochmal Hot Chip und so weiter. Der Erkenntnisgewinn ist gering, der Neuigkeitswert ist Null, das Prinzip ist immer das gleiche: Die Nervensägen der Saison werden nochmal durchgereicht.

Nur für den Leser bleibt nicht viel hängen. Steht da auf Nummer 1 "Kante", dann denke ich: Jo, klar, war ja ne nette Platte -­ steht da aber irgendwas total obskures, dann laufe ich keineswegs los und höre dieses Album, denn drum herum stehen ja tendenziell noch 20 total obskure Nummer Einsen, die ich mir nicht alle auf einmal anhören kann.

Vielleicht liege ich da falsch, aber mir erscheint dieser Drang, Kulturgüter in eine Rangfolge zu quetschen, a bisserl deppert und der Sache nicht gerecht. Die einzig vernünftige Art, so was zu machen, ist dumm, brutal und ehrlich, das ist nämlich die Zählung der Verkaufszahlen. Und da sehen meine persönlichen Jahrescharts ziemlich gleichförmig aus: Jede meiner Lieblingsplatten habe ich exakt ein Mal gekauft. Was sollte mich dann dazu treiben, sie nochmal von 1 bis 10 zu numerieren? Ähnlich dämlich würde ich mir vorkommen, wenn ich eine Top Ten meiner Freunde erstellen würde: Anton hat ein paarmal zu oft nicht zurückgerufen und schafft nur die Fünf, Alfred hat mir in Aserbaidschan mit Aspirin ausgeholfen und kommt auf die Zwei, Arthurs neue Freundin ist anstrengend und zieht ihn auf die Acht runter.

Klingt bescheuert? Jawoll. Macht ja auch niemand. Meine Freunde sind mir jeder für sich lieb und teuer. Etwaige Unterschiede sind mit einer Liste sowieso nicht adäquat auszudrücken. Mit Musik ist es ganz genauso. Auch die sollte man nicht durchnumerieren, sondern wegen ihrer Individualität wertschätzen und bei Bedarf lobpreisen.

Und genau das will ich jetzt mal tun, indem ich nämlich drei Bands lobpreise, die in keiner Jahres-Top-Ten zu finden waren. Jede hat ein so eigenständiges Konzept, daß der Mainstream, der sich Indie nennt, nicht so recht was damit anfangen kann. Dabei machen alle drei durchaus mehrheitsfähige Musik. Sie sind nicht Teil der Killers-Kooks-Razorlight-Mando-Diao-Kaiser-Chiefs-Maximo-Park-Arctic-Monkeys-Junge-in-zu-engen-Hosen-heult-mit-übergeschnappter-Stimme-Lawine, sie sind auch nicht Teil der Retro-Anti-New-Verweigerungs-Renaissance-Tudor-Folk-Welle, sie sind überhaupt kein Teil von gar nix, sondern machen etwas, das sie sich komplett selber ausgedacht haben. Und zwar mit Hingabe und Begeisterung. So was ist eher uncool, fällt immer etwas aus der Zeit heraus, wird nie zum Titelseiten-Hype und ist gerade deswegen wie ein Juwel, das man lange suchen muß und sorgsam behütet, wenn man es mal gefunden hat.

Da wären, ohne Rangfolge, einfach so für sich:

THE DIVINE COMEDY - Victory for the Comic Muse

Kennt man schon? Um so besser. Neil Hannon, Gründer und eigentlich einziges Bandmitglied, macht seit Jahren unerhört schöne Lieder mit hintersinnigen Texten, mit eleganten Anleihen aus der Klassik, getragen von einer großen Zuneigung zu Menschen und einem tiefem Verständnis für unser Dasein zwischen Lachen und Weinen. Außerdem ist er einer der GANZ wenigen Leute, die sich wirklich auf eine Bühne stellen und mit Menschenmengen kommunizieren und musizieren können, ohne dabei großspurig oder geistesabwesend oder gequält zu wirken.

SECRET MACHINES - Ten Silver Drops

Inmitten einer Welt voller unreifer Jungs geben sie dem Rock zurück, was er mal war: Eine Naturgewalt, die Berge versetzt. Und zwar nicht mit Gewalt, sondern mit Macht. So ein Schlagzeug hat man lange nicht mehr gehört. Solch einen konsequenten Willen zur Größe und zum Geheimnis auch nicht. Würde ich eine Top-Ten-Liste von 2006 verpaßten Konzerten schreiben, wären sie die Nummer 1. Ansonsten empfehle ich dieses Video.

GUILLEMOTS - Through The Window Pane

Ging in Deutschland total unter, ist aber umwerfend. Gibt der Popmusik was zurück, was seit Jahrzehnten komplett ins Reich des Trash abgewandert war, nämlich die vielgescholtene gute Laune. Das Positive. Lebensfreude. Konnte man ja schon länger nicht besingen. Zulässige Haltungen waren "wir sind jung und wütend" oder "wir sind sensibel und nachdenklich" oder "wir sind topintellektuelle Spaß-Nerds" oder "wir sind postmodern, kaputt und krank" oder "ich bin ja so genial und versponnen und verrückt" oder dergleichen mehr. Bis ein klavierspielendes Genie namens Fyfe Dangerfield kam und himmelhochjauchzende Freudenlieder mit tollen Texten voll irrer Metaphern sang. Selten wurde ich beim ersten Hören eines Songs so hinweggefegt wie hier bei Track 8.

Das war 2006. Es gab noch allerhand mehr, man kann die obige Auswahl auch für bescheuert halten, ich halte sie für notwendig und setze mich im vollen Bewußtsein der eigenen Subjektivität und Fehlbarkeit, aber doch ziemlich entschieden dafür ein.

Ich wünsche mir und euch für das kommende Jahr Musik, die uns mitnimmt, auf daß nicht alles so egal sei.

28 Dezember 2006

Der Methusalem-Kokolores

Weihnachten ist toll. Man liest mal wieder Bücher. Manchmal liest man aber auch nur den Klappentext. Zum Beispiel den da:

"Wir haben weniger Kinder, weniger Verwandte, und unsere Kinder haben weniger Freunde als frühere Generationen. "

Steht so auf der Rückseite von Frank Schirrmachers Buch "Minimum".
Man liest da so drüber und bleibt hängen und sagt: Hä? und liest es nochmal und denkt sich dann so ganz ungefiltert:

Herr Schirrmacher, haben Sie eigentlich noch alle Latten am Zaun.

Und dann nochmal etwas vornehmer:
Auf welcher Erhebungsbasis steht diese gewagte Behauptung? Bezieht sich der Buchtitel vielleicht auf den Rechercheaufwand?

Den Kindermangel kriegt man ja sowieso ständig medial um die Ohren gehauen. Könnte man insgeheim aber auch ganz gut finden. Auch weniger Verwandte müssen keineswegs nur ein Nachteil sein. Aber weniger Freunde? Unsere Altersgruppe zeichnet sich nach meiner allseitigen Erfahrung gerade dadurch aus, daß sie Freundschaften in großer Anzahl und mit einer Sorgfalt und Innigkeit pflegt, die ich in darüberliegenden Generationen so nicht beobachten konnte. Man hat gar nicht so viel Zeit, wie man Freunde hätte (und NEIN, damit meine ich nicht die 648 Myspace-Freunde, die inzwischen jeder Idiot hat).

Mag durchaus sein, daß Frank Schirrmachers Generation noch deutlich mehr Freundschaften gepflegt hat als wir, aber wie die Herrschaften dann neben der Freundschaftspflege überhaupt noch irgend etwas auf die Reihe gekriegt haben, ist mir ein Rätsel.

24 Dezember 2006

Kinder, wie die Zeit vergeht

Schon wieder Weihnachten. War doch gerade erst.

Wie die Zeit vergeht, fällt einem aber schon auf, wenn man mit Musik auf den Ohren herumläuft. Eine alltägliche Handlung, sagen wir mal: Wohnung verlassen, zuschließen, Treppe runtergehen, in den Briefkasten schauen, Rad aufschließen, das dauert insgesamt vielleicht so gefühlte 45 Sekunden. Aber mit Musik geht alles anders, denn da merkt man plötzlich: Huch, der Song ist schon vorbei. Das ging aber schnell. Der dauert doch eigentlich fünf Minuten.

Ist das nicht schrecklich symbolisch? Da will man nur eben sein Rad aufschließen, und schon ist der Song vorbei und der Akku leer und die Luft raus und wieder Weihnachten. Aber wenden wir es ins Positive und entwickeln daraus eine pädagogisch wertvolle Geschenkidee. Liebe Eltern, wenn ihr das Gefühl habt, daß eure minderjährigen Kinder nicht so recht aus dem Knick kommen, kein Zeitgefühl haben, herumtrödeln:
Schenkt ihnen einen iPod.
Es ist nur zu ihrem Besten.

Ich wünsche allseits einen rasanten Heiligabend und daß er nicht gleich wieder vorbei ist.

21 Dezember 2006

Einkaufswagenauswahl


Wie bereits erwähnt: Neben Aldi hat Lidl aufgemacht. Zwei verfeindete Lager, eine klare Provokation, doch zum Weihnachtsfest gibt es tatsächlich zaghafte Andockversuche. Allerdings paßt an den Aldi-Wagen hinten kein Lidl-Wagen mehr dran. Wird also wohl nix mit der vollständigen Verbrüderung.

18 Dezember 2006

Mensch, wie ist mein Herz bestellt?

Für die letzte Woche vor Weihnachten heute mal was besinnliches.
Neben dem Aldi, wo wir gelegentlich einkaufen, hat ein Lidl aufgemacht.
Die Kirche gegenüber hat schon vor zwei Jahren zugemacht, aber über der Eingangstür hängt immer noch folgender Spruch:
Das ist eine Frage, die man sich wirklich mal stellen sollte.
Ich würde sagen, mein Herz ist im Moment ganz gut bestellt.
Allerdings nicht vierfach wie das erwähnte Ackerfeld, sondern eher so als Monokultur.
Das fände die Kirche vermutlich auch besser.

16 Dezember 2006

Punk als Karrierefaktor

Wenn die Veteranen einer Jugendkultur von vorgestern sich selber feiern, wird es meist ziemlich peinlich, weil das Ganze sich eigentlich immer in der Feststellung erschöpft:
Meine Güte, was waren wir damals toll.
Bisher waren es öfter mal die 68er, dann wurden die gebasht, jetzt sind die Punks an der Reihe.

Im SZ-Magazin von gestern schreibt Lorenz Schröter, Veteran der Punkbewegung, über selbige und was davon übrigblieb. Ich zitiere:

Ihre Punk-Vergangenheit hat diese Menschen mit einer besonderen Energie und Durchsetzungskraft ausgestattet. Von den paar tausend Aktiven, die es damals in Deutschland gab, haben es auffällig viele zu etwas gebracht.

Leute, das ist toll. Ihr habt es zu etwas gebracht. Das wollten eure Eltern doch immer.
Energie und Durchsetzungskraft sind ja auch Eigenschaften, von denen der Standort Deutschland dringend mal etwas mehr gebrauchen könnte, daher kann ich meiner eigenen Altersgruppe, die so schrecklich inaktiv auf unbezahlten Praktika herumhängt und immer nur im Internet herumjammert, anstatt sich mal ein anständiges Dosenbierbesäufnis zu geben, dringend ans Herz legen:

Werdet Punk. Dann klappt´s auch mit der Karriere.

Monster

Für alle, die es mal so richtig wissen wollen, steht im Newsletter von Tim Renners Musikfirma Motor der folgende Hinweis:

Franz Ferdinand erklärten sie zu ihrer Lieblingsband, Hot Hot Heat schleppten sie mit auf Tour und Maximo Park liefen gar zu Interviewterminen in The Blood Arm T-Shirts auf. Und jetzt sind wir dran, the ordinary Musikhörer. Ladies and Gentlemen, schnallen sie sich an für das neue große Indie-Monster namens The Blood Arm.

Jawoll, mach ich. Ich werde mich monströs anschnallen für das Indie-Monster.

Kurz darauf las ich im Musikmagazin "Intro" in einem Artikel über die Band "Virgina Jetzt", die sich eigentlich mit Ausrufezeichen schreibt, was ich aber hiermit verweigere, den folgenden Satz:

Ich hab jetzt auch Angst vor Virginia Jetzt! Vor diesem Popmonster.

Auch das ein wertvoller Hinweis.
Die genannte Band ist ein Popmonster, vor dem man Angst haben sollte.
Aber wer schreibt eigentlich solche Texte?
Ich, the ordinary Blogschreiber of ein bißchen Film-Fame, aber nur 15 Minutes, habe die Lösung. Ladies and Gentlemen, legen Sie die Ohren an und halten Händchen mit der Dame auf dem Nachbarsitz, hier kommt die ultimative These des Tages:
Es gibt in jeder Redaktion ein Textmonster, das das Objekt seines Interesses mit hysterischer Formulierungswut totschlägt.
Oder einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

15 Dezember 2006

Schlagzeile


Vorhin beim Bäcker gesehen und fotografiert.
Da fallen einem gleich mehrere böse Sachen zu ein.
-So wie vor unserer Regierungsbeteiligung?
-So wie damals in der DDR?
-So wie seinerzeit von 39 bis 45?
Vielleicht hätte man das Wort "wieder" streichen sollen. Dann hätte es geheißen:
Wir wollen die Welt begeistern.
Das wäre mal endlich kein Polit-Gequatsche gewesen, sondern eine steile Ansage, gegen die man aber erstmal nichts sagen kann.

14 Dezember 2006

Weihnachtsmarkt




















Das Problem mit den liebevoll handgefertigten Kleidungsstücken und Hüten, die man auf Handwerkermärkten bekommt, ist: Man kann sie nicht anziehen beziehungsweise aufsetzen. Es sei denn, man will bekloppt aussehen. Hier wäre ein Beispiel.

13 Dezember 2006

Händewaschen

Als ich heute nach der Pressevorführung eines Films mir die Hände waschen ging, kamen mir viele Filmkritiker aus dem Klo entgegen, und nur einer wusch sich die Hände. Das ist allerdings nur eine vereinzelte Beobachtung. Man kann daraus noch lange nicht schließen, daß die meisten Filmkritiker unsaubere Menschen sind, genausowenig wie man aus dieser Beobachtung schon den Schluß herleiten könnte, daß alle Männer Schweine sind oder alle Filmkritiker Männer. Man könnte womöglich daraus folgern, daß früher alles besser war, denn der einzige, der sich die Hände wusch, war ein älterer Herr. Es war allerdings derselbe ältere Herr, der sich den ganzen Film über immer erzürnt umgesehen hatte, wenn ich mich hinter ihm bewegte. Das Kino war nun aber sehr eng. Als Mensch mit langen Beinen konnt man eigentlich nicht anders, als die Rücklehnen der Vordersitze irgendwie zu berühren. Ich setzte mich daher eins weiter nach links und dann noch eins und wanderte im Lauf des Films immer weiter die Reihe entlang. Das half aber nichts. Er sah sich weiter erzürnt um, selbst als irgendjemand sich ganz woanders bewegte. Er war eigentlich dauernd erzürnt. Der Film war allerdings auch sehr langweilig, deswegen mußten viele Anwesenden unwillkürlich ständig auf ihren Sitzen herumrutschen, sogar der ältere Herr selbst.

Vielleicht kann man daraus schließen, daß früher nicht alles besser war, aber heute alles besser wäre, wenn die Menschen
ihre Knie vom Sitz des Vordermanns lassen und sich nach dem Klo die Hände waschen und sich nicht so oft erzürnt umgucken würden, selbst bei wackelnden Sitzen und langweiligen Filmen und ungewaschenen Händen.

12 Dezember 2006

Filmgeschichte

Bernd hat einen Verein gegründet. Dort trifft man sich jeden Montag Abend und schaut sich gemeinsam Filmklassiker an, und zwar nicht die großen Gassenhauer, die sowieso jeder kennt, sondern sehenswerte Filme, die eben noch nicht jeder kennt.
Heute war ich mal dort. Es lief "Shadows of a Doubt" von Hitchcock, 1942. Eine Ansammlung von angenehm uncoolen, ernsthaften Menschen sitzt auf Sofas im Hinterzimmer eines Lokals namens "Ohio" an der Schlesischen Straße. Nach dem Film wird diskutiert. Man kommt sich ein wenig vor wie im Seminar - und das ist großartig. Alle sind sichtlich getragen von einem ausführlichen und sorgfältigen Interesse am Film. Niemand will mehr darstellen, als er ist. Niemand trägt seine Bescheidenheit vor sich her. Die Menschen tragen irgendwelche T-Shirts und und Polohemden und Pullover und wirken auf eine Art Berlin-Szene-inkompatibel, die etwas wahnsinnig erfrischendes hat.
Bernd spricht einige einleitende Worte und leitet das Gespräch mit kluger Hand, ein anderer hat vorab ein paar Fakten zum Film gesammelt und teilt sie auf Anfrage mit. Man hört einander zu und geht aufeinander ein. Man versteht sich und ist sich einig in der Liebe zum Kino. Ich werde auf alle Fälle wieder hingehen.

11 Dezember 2006

Jubiläum

Es ist heute genau ein halbes Jahr her, und das bedeutet, daß die Erde seitdem eine halbe Umlaufbahn zurückgelegt, und das bedeutet wiederum, daß die Stelle, an der ich einer Person begegnet bin, von der ich damals noch gar nicht so recht wußte, wie einzigartig und eigenartig und großartig sie ist, heute auf der anderen Seite der Sonne liegt, so ungefähr 298 Millionen Kilometer von hier entfernt, eigentlich aber noch viel weiter weg, denn die Sonne mitsamt ihren Planeten ist ja nur Teil einer rotierenden Galaxie, selbige bewegt sich auch irgendwie durchs Weltall , weswegen man eigentlich nie genau weiß, wo man ist und wie schnell man sich bewegt. Das einzige, was ich ganz sicher weiß, ist, daß ich einer besonderen und seltenen und kostbaren und einzigartigen Person begegnet bin. Und wo im Universum ich hingehen muß, um sie wiederzutreffen, weiß ich auch.

08 Dezember 2006

Langeweile

Die einen laufen in Cannes, gewinnen da den Preis für den besten Hund im Film, kommen dann ins Kino und kein Mensch geht hin. Die anderen laufen in Ludwigshafen, gewinnen da den Publikumspreis, laufen dann nachts im dritten Programm und kein Mensch guckt zu.

Keine Ahnung, was genau da wo schiefläuft. Ich will aber auch gar nicht gegen einzelne Filme polemisieren, sondern stattdessen endlich mal lautstarken Protest einlegen gegen die gähnende Langweile, die sich im deutschen Film breitgemacht hat, die alles auf ihrer Seite zu haben scheint - Förderer, Sender, Festivals, Verleiher, Kritiker. Alles außer dem Publikum. Das sorgt regelmäßig für sensationell desolate Besucherzahlen, wie ich kürzlich im Gespräch mit einem Verleihchef mal wieder aus erster Hand erfahren durfte, der sich über die Einspielergebnisse eines jungen deutschen Kammerspiels bitter beklagte.

Ich hätte ihm am liebsten nur erwidert:
Ach, das überrascht Sie jetzt?
Hatten Sie denn ernsthaft mit etwas anderem gerechnet?

Das deutsche Kunstkino langweilt sich zu Tode. In gestelzten Bildern werden die immergleichen Litaneien von Emotionslosigkeit, Sprachlosigkeit und Lustlosigkeit heruntergebetet. Alles, was den Zuschauer irgendwie sinnlich berühren könnte, wird weggelassen, jede Empfindung ist lahmgelegt, alles, was auch nur entfernt an Humor, Doppelbödigkeit, Ironie erinnern könnte, ist Millionen Meilen weit weg, Musik ist ohnehin verboten und die Akteure sind meistens von hinten zu sehen. Ein Strom von gleichförmigen Filmen rollt auf die Festivals, gewinnt Jurypreise, kommt dann in die Kinos und ist wegen komplett ausbleibender Zuschauer auch gleich wieder weg. Egal, die Fachwelt klopft sich auf die Schultern, kocht im eigenen Saft und findet sich selber gut - wegen einer Reihe greisenhaft verknöcherter, lustfeindlicher Filme, die am Ende keiner sehen will.

Es reicht. Ich will nicht mehr. Und ich bin nicht der einzige, dem es so geht.

Und weil so etwas gerne falsch verstanden wird, muß ich sicherheitshalber dazusagen: Wenn ich keine Lust auf langweilige Filme habe, dann heißt das nicht, daß ich stattdessen Bernd-Eichinger-Müll will.
Ich will Kino.
Das kann tausenderlei Formen annehmen. Das kann alles mögliche sein. Verklemmte Mittelstandskinder, die ihre Kommunikationsstörungen auf den Rest der Welt projizieren und von anderen verklemmten Mittelstandskindern im Feuilleton dafür gelobt werden, muß es möglicherweise auch geben, aber wenn sie sich zur vorherrschenden Bewegung aufschwingen und sich im Publikum dauerhaft kein Mensch dafür interessiert, dann stimmt was grundlegendes nicht.

Schade, denn Kino kann so schön sein und so spannend, und das Auseinanderklaffen von doofer Unterhaltung und esoterischer Minderheitenkunst läuft dem Medium eigentlich zuwider.

Auch wenn ich eigentlich glaube, daß Qualität von Köpfen kommt, nicht aus Konzepten, und nicht als Teil eines Gruppenstils wahrgenommen werden will, so muß wahrscheinlich trotzdem eine neue Schule kommen, einfach um den Hype zu beenden. Hier in Berlin bildet sich momentan eine kleine Gruppe von jungen Filmemachern, die allesamt keinen Bock mehr auf Langweile, Sprachlosigkeit und emotionale Erkältung haben. Wir versuchen, mehr daraus zu machen.

Ende einer Waschmaschine

*August 2001 bei Karstadt, Wedding
+Dezember 2006 in einer WG in Kreuzberg


Nikolaus

Jedes Jahr beschweren sich alle darüber, daß Mitte August die Weihnachtsmänner in den Läden stehen. Dabei ist das ein Schritt in die richtige Richtung: Die Vorweihnachtszeit muß länger werden. Immer so gegen Ende des Sommers gerät das Jahr auf eine immer steilere Rutschbahn, auf der es dann unaufhaltsam gen Weihnachten donnert, und eh man sich umgeguckt hat, ist der ganze Spaß schon wieder vorbei. Anstatt sich also über Weihnachtsmänner im August zu beschweren, sollte man lieber einmal anprangern, daß Weihnachten irgendwann im Herbst ist, daß wir Kerzen anzünden und Geschenke einpacken ud versuchen besinnlich zu sein, während draußen goldene Blätter am Fenster vorbeiwehen und die Kinder über abgeerntete Felder tollen und mit glühenden Wangen der Mutter Kartoffeln auf den Küchentisch legen und Tiere aus Kastanien basteln und die Sonne scheint und die Kürbisse grinsen und so.
Ich schlage daher folgendes vor:
Weihnachten wird um einen Monat nach hinten verlegt. Auf Ende Januar. Da ist dann das Wetter weihnachtlicher, der Herbst ist länger, der lange leere Januar kriegt irgendwie einen Sinn und alle sind entspannt und zufrieden.

06 Dezember 2006

Raubkopie


Dieses Bild wurde mit einem Mobiltelefon aufgenommen und zeigt ein Bild aus einem Kinospot, der uns davon abhalten soll, Bilder aus Filmen abzufotografieren.
Wir haben es hier mit einem Auseinanderklaffen von Form und Inhalt zu tun: Der Urheber des Spots sollte sich eigentlich über jede Weitervebreitung seiner Idee freuen, doch wenn diese Weiterverbreitung in Form einer illegalen Raubkopie geschieht, läuft dies möglicherweise seiner Intention zuwider.

Da in unserer seriösen Kultur generell mehr Wert auf Inhalt als auf Form gelegt wird, gehe ich mal davon aus, daß das Raubkopieren von Anti-Raubkopie-Spots in Ordnung ist.

Spamverdacht

Menschen auf der ganzen Welt schicken mir oft offenherzige Nachrichten über zwischenmenschliche Ereignise.
Der Mailprovider sortiert das meiste davon ihn aus und legt es in einen eigenen Ordner.
Einmal am Tag kommt eine Nachricht, was in diesem Ordner so alles drin liegt.
Und da steht dann zum Beispiel folgendes:

-Violeent FARMM gaan*gbang! Ill*egaal!happy
-Sex-adddicted mommaa done raw from behiindother
-SEXUALLY EXPLICIT : Hardcore amateur brunette fun
-Jan Josef Liefers liest Märchen im Roten Rathaus
-All the women will go crazy with you. Use Super Vi...
-bitchh can't get enouggh cockk up her sllit getu...
-Rap'e a secretary in the office theomythologer

Dieses einträchtige Nebeneinander erscheint mir bemerkenswert.




05 Dezember 2006

Nur für Freunde

Meine Freundin schreibt ein Blog. Also ein Online-Tagebuch. Was sie da so reinschreibt, weiß ich nicht, denn es ist friends only. Früher war alles öffentlich, aber kurz nachdem wir zusammenkamen, hat sie das geändert, und seitdem können nur eingeloggte friends das lesen, was sie da so schreibt, und da gehöre ich nicht zu, denn ich bin zwar ihr Freund, aber kein friend.

Das ist mir eigentlich auch ziemlich egal, denn Tagebücher anderer Leute liest man auch nicht so einfach, und da meine Freundin der liebenswerteste Mensch auf Erden ist, vertraue ich darauf, daß sie da keine seltsamen Dinge reinstellt, für die ich mich vor ihren friends schämen müßte.

Dennoch ergab es sich kürzlich, daß wir beide uns vor ihrem Laptop befanden und ihr Blog sich als Startseite automatisch öffnete und ich aus reiner Neckerei die Pfeil-nach-unten-Taste drückte und sie mich entschlossen zurückhielt und sagte:

Halt! Das darfst du nicht lesen!

Daraufhin ergab sich folgender Dialog.

Ich: Wieso denn nicht?
Sie: Das ist privat.
Ich: Wieso privat, das dürfen doch all deine „friends“ lesen.
Sie: Ja, aber du darfst das nicht lesen.
Ich: Komme ich darin vor?
Sie: Ja.
Ich(erneutes Drücken der nach-unten-Taste): Na, das ist doch interessant.
Sie: Nein! Finger weg! Privat!
Ich: Wenn das privat wäre, dürfte es niemand lesen. Aber so können es alle außer mir lesen.
Sie: Nicht alle. Nur meine Freunde.
Ich: Gehöre ich nicht zu deinen Freunden?
Sie: Das ist was anderes. Das ist ein Tagebuch. Früher analog im Nachttisch, heute digital im Netz. Hallo, willkommen im 21. Jahrhundert, das macht man heute so.
Ich: Aber früher durfte niemand mitlesen.
Sie: Ich fühle mich schlecht, wenn du das jetzt liest.
Ich: Und ich fühle mich seltsam, wenn ich irgendwie Objekt einer Öffentlichkeit bin, deren Teil ich aber nicht bin. Und deren Exklusivität genau in dem Moment angefangen hat, in dem ich auf den Plan trat.
Sie: Aber das ist doch gar nicht wegen dir.
Ich: Sondern wegen meinem Vorgänger.
Sie: Natürlich.
Ich: Verstehst du trotzdem, was ich da so hilflos in Worte zu fassen versuche?
Sie: Ach ja, ach Gott, das ist entsetzlich, du hast recht, was machen wir denn jetzt, willst du jetzt alles lesen oder wie oder was.
Ich: Nein. Hm. Umgekehrt, eigentlich hast du recht, du kannst doch hinschreiben, was und wo und für wen auch immer du willst. Warum nur komme ich mir aber jetzt so leicht seltsam dabei vor. Hm.
(allgemeine Ratlosigkeit)

Da kann man nix machen. Außer selber machen. Also mache ich jetzt das, was ich schon länger mal machen wollte, und fange ein Blog an. Wenn meine Freundin da was liest, was sie doof findet, dann darf sie mich zur Ordnung rufen. Weil sie es nämlich lesen darf. So wie jeder andere auch.

 
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